8. LESER-WEINREISE   

Im Schatten des Vesuv

Ein Artikel von Walter Kaltzin | 18.01.2022 - 15:05

Nach mehreren covidbedingten Verschiebungen ging die Serie der WINZER-Leserreisen in der zweiten Novemberwoche weiter. Per Flugzeug über Rom und per gut zweistündiger Busfahrt Richtung Süden nahmen wir Kurs auf das Weinbaugebiet Kampanien. Von der Weingartenfläche her etwa mit Österreich zu vergleichen, wird es von den Gebieten Latium, Basilikata, Apulien und Kalabrien umgeben. Erster Eindruck: überraschend viel Grün und Berge, und das bei angenehmen Temperaturen. 

Kampanien in vielen Stationen

Den weinbaulichen Einstieg nahmen wir beim Weingut Azienda Agricola Meoli, im Norden von Neapel, vor. Der Familien­betrieb Meoli besteht seit 1996, rund 12 ha Weingärten werden gepflegt (Guyot-System). Zudem wird auch Olivenöl produziert, keine Seltenheit in Kampanien. Auch wenn der Betriebsstandort nicht als optischer Hingucker bezeichnet werden kann, die Weine – überwiegend Rotweine (Sangiovese, Cabernet Sauvignon, Piedirosso, Aglianico – mundeten. Aus Platzgründen findet die Verarbeitung im Freien unter einem Foliendach statt. Am Produktionsstandort wurden wir mit einem Aperitif begrüßt, die Weinverkostung mit regionalen Köstlichkeiten gab es im gemütlichen Rahmen in einem Gemeinschaftshaus einer Agrokooperative. Das Nachtquartier wurde in Pompeji bezogen, Ausgangspunkt für Ausflüge zur Insel Ischia und Weinregion Avellino.

 

Zunächst Ischia: Mit Schnellbooten ist die größte der Inseln im Golf von Neapel von der Hauptstadt Neapel in einer halber Stunde zu erreichen. Der Ursprung geht auf eine vulkanische Eruption zurück, das milde Klima und Thermalquellen sind Anziehungsmagnet für viele Touristen. Dennoch nimmt der Wein noch immer einen Stellenwert ein, zumindest konnte das das Weingut Tommasone vermitteln. Es gehört mit den 17 ha zu den größten Betrieben und blickt auf eine mehr als 200 Jahre alte Tradition zurück. Die Weingärten sind aufgrund des Platzmangels eher kleinteilig und bedeuten viel Handarbeit. Sie liegen im Süden der Insel in Meeresnähe, Weißwein überwiegt. Die lokale Sorte Biancollela bleibt mit ihren Pfirsichnoten positiv in Erinnerung, wie auch die Verkostung auf der Terrasse, die einen wunderbaren Blick auf das Meer freigibt. Die Kellertechnik ist auf dem letzten Stand der Technik, auch Amphoren sind im Einsatz. Die Rotweine daraus werden auch in kleinen Amphoren abgefüllt. Die weibliche Führung des Betriebes schlägt sich in einer Kosmetiklinie auf Basis von Traubeninhaltsstoffen nieder. 

Am dritten Tag führte uns die Reise in das Weingebiet von Avellino, östlich von Neapel. Die hügelige Landschaft oberhalb von 400 Meter Seehöhe profitiert von relativ kühlen Nächten und Jahresniederschlägen in der Größenordnung von rund 1.000 mm. Der Grund: Das Gebiet ist teilweise von Gebirgen umgeben, Ausläufern des Apenin. Die Böden sind fruchtbar und vulkanischen Ursprungs, die Erträge dementsprechend höher als im Rest vom trockenen Kampanien. Schwerpunktmäßig setzen hier kräftige Rotweine der Rebsorte Aglianico die Akzente, im Weißweinbereich gelten die Sorten Greco de Tufo und Falanghina als typisch. Hier liegt die historische römische Provinz Irpinien, die schon zu antiken Zeiten geschätzten Wein erzeugte.

Als größter Betrieb mit rund 300 ha und international erfolgreich gilt Feudi di San Gregorio. Das Weingut steht für das Wiedererwachen der Weinkultur von Kampanien, ja auch von Italiens Süden insgesamt. Autochthone Rebsorten wie Fiano, Falanghina, Aglianico und Greco zählen zum Rebsorten-Portfolio im Herzen der drei DOCG-Appellationen. Enorm viele Parzellen werden bewirtschaftet, man legt Wert auf den unterschiedlichen Ausbau. Den Klimawandel sieht man hier positiv: Früher hätte es eine hohe Säure im Wein gegeben, gibt man unverhohlen zu.

Während Feudi di San Gregorio nur auf eine 30-jährige Geschichte verweisen kann, blickt die Familie Mastroberardino auf drei Jahrhunderte zurück und machte sich bereits Ende des 19. Jahrhunderts einen Namen. Dabei ist es Mastroberardino zu verdanken, dass die uralten autochthonen Rebsorten wie Falanghina, Greco, Fiano und Aglianico in der Weinwelt bekannt sind. Heute bewirtschaftet Mastroberardino rund 260 Hektar Rebflächen in der Vesuvio DOC und im Irpinia-Gebiet. Gleich neben dem renommierten Weingut sind historische Ausgrabungen zu finden – Tradition wird hochgehalten. Beeindruckend sind die Vinothek mit Flaschen zurück bis in die 1920er-Jahre und schöne Freskenmalereien im Keller. Diese wurden angefertigt, weil man große Erdbeben von 1980 relativ unbeschadet überstanden hatte.

Apropos Erdbeben: Der Vesuv gilt als Schicksalsberg Kampaniens. Viele Menschen sind ihm zum Opfer gefallen, doch heute sorgt er auch für große Touristenströme und fruchtbare Böden. Sein trauriger Ruhm gründet auf eine Eruption im Jahre 79 n. Chr., bei der die römischen Städte Pompeji und Herculaneum zerstört wurden. Für den Vulkan sind lange Ruhephasen typisch, um dann in einer gewaltigen Eruption zu explodieren (letzter Ausbruch 1944). Umso erstaunlicher, dass der Vulkan bis an seine Flanke dicht besiedelt ist. Die Hauptstadt Neapel liegt nur wenige Kilometer nordwestlich des Vesuv. Insgesamt leben ca. drei Millionen Menschen in seiner unmittelbaren Nähe.

Die Ausgrabungen der antiken Stadt Pompeji sind gewaltig. Wegen der viele Meter hohen Ascheschicht nach dem Ausbruch des Vesuv blieb die Stadt lange Zeit unberührt. Das Ausmaß der Stadt war enorm, die Bauten, bis auf die Dächer, gut erhalten. Fresken zahlreicher Villen geben Zeugnis von der Bedeutung des Weins. Während sich in Normalzeiten Tausende von Touristen durch die historischen Straßen schleppen, hielt sich der Andrang bei uns sehr in Grenzen.

Die Stadt Pompeji lebt auch von der enormen Bedeutung für Pilger, dementsprechend ist die örtliche Basilika, die Wallfahrtskirche „Rosenkranz-Basilika“, ebenso ein Anziehungspunkt. Daneben befindet sich ein frei stehender Glockenturm, der aufgrund seiner Höhe gerne als Aussichtsplattform genutzt wird.

Am Fuße des Vulkans wird auch Weinbau betrieben, rund 200 ha haben den Status „Lacryma Christi“. Die Legende besagt, dass Christus weinte, als er ein von Luzifer gestohlenes Stück des Himmels im Golf von Neapel fand. Dort, wo seine Tränen hinfielen, wächst seitdem der Lacryma Christi (ein Bianco aus Caprettone oder Rosso aus Piedirosso). Wir statteten der Cantina Vesuvio einen Besuch ab. Der kleine Weinbaubetrieb (16 ha) unter der Führung von Maurizio Russo verkauft nur ab Hof und experimentiert mit zahlreichen Erziehungsarten. Die Böden der Weingärten bestehen aus mehreren Eruptionsschichten (Asche), der Humusanteil ist gering. Die Südlagen sind den Reserve-Weinen vorbehalten. 

Am fünften Tag stand die einzigartige Amalfi-Küste auf dem Programm. Eine kurvenreiche Fahrt zeigte uns die beeindruckende Steilküste, die zum Teil nur eingeschränkt von großen Bussen befahrbar ist. Leichter Niederschlag trübte etwas die Sicht, doch die Gegend, ein Naturpark aus Land und Wasser, bleibt nachhaltig im Gedächtnis. Ravello, Positano (die vertikale Stadt) und Amalfi mit ihrer beeindruckenden Kathedrale lauten die klingenden Namen. 

Der Weinbau der Amalfiküste findet sich in Tramonti, einem benachbarten grünen und fruchtbaren Tal und ein UNESCO-Weltkulturerbe. Dort produziert die Tenuta San Francesco seltene, authentische Weine aus alten Reben. Auch hier haben nur einheimische Rebsorten wie Tintore, Piedirosso, Pepella, Falanghina und Ginestra das Sagen. Acht von vierzehn Hektar der Weinberge sind mit über 100 Jahre alten und damit schon vor der Reblaus stehenden Reben bestockt. Auch Reben mit rund 400 Jahren stehen noch im Ertrag. Auffallend: Als Rebenerziehungssysteme sind Pergolas in den alten Weinbergen und Guyot für die anderen im Einsatz, teilweise sind auch Terrassen angelegt. Dank Schutz und Förderung einheimischer Rebsorten wie Tintore wurde das Weingut fünf Jahre lang mit dem Schneckenpreis des Slow Wine Guide ausgezeichnet. Vier Familien sind derzeit im Betrieb tätig.

Ausgehend vom zweiten Hotelstandort in der sehenswerten Stadt Sorrent, ging es am sechsten Tag zur kleinen Felseninsel Capri: klein (lediglich 10 km2), aber höchst fein und elitär. Die Bergspitzen, auf die ein Sessellift führt, präsentierten sich in Wolken gehüllt.

Viele Reiche/Prominente haben hier ihre Zweitresidenz, manche direkt an der Steilküste ohne Zugang vom Land aus. Bekannt ist Capri auch für die Höhlen am Meer, etwa die Blaue Grotte. Erst nächtens, wenn die Touristen die Insel verlassen haben, soll man die zahlreichen Prominenten zu Gesicht bekommen, die tagsüber luxuriöse Villen oder Yachten bewohnen.

Seit dem 19. Jahrhundert sorgt der Tourismus für sprudelnde Einnahmen, wodurch die Terrassenkulturen mit Wein-, Öl- und Obstbäumen einen schweren Stand haben. Capri gilt als eigenes DOC-Gebiet. 

Der Besitzer des Weinguts Joaquin Raffaele Pagana möchte alte Rebsorten wie Greco, Falanghina und Biancolella sowie die wenigen verbliebenen Weingärten auf der Insel erhalten. Die Mengen sind gering, die Preise wegen der aufwendigen Handarbeit hoch. Größere Mengen an Wein produziert Pagana im Gebiet Avellino am nahen Festland.

Am vorletzten Tag durften wir noch einmal in die historische Dimension Kampaniens eintauchen. Hinter dem Weltkulturerbe Paestum im Süden Kampaniens stecken mächtige Tempelanlagen aus zum Teil griechischer Zeit. Während von der ursprünglichen großen Stadt (Poseidonia) nur mehr Teile übrig geblieben sind, zählen die großen Tempel aus dem 3. bis 6. Jahrhundert vor Christi zu den besterhaltenen Zeitzeugen der Welt. Ein Museumsbesuch brachte uns das Leben der damaligen Zeit näher.

Die Gegend bot sich zudem für eine Besichtigung einer modernen Büffelfarm an, wo täglich frisch feinster Mozzarella produziert wird. Die indischen Wasserbüffel sollen schon seit der Römerzeit im damals noch sumpfigen Gebiet gehalten worden sein.

Beeindrucken konnte auch der modern wirkende Weinbetrieb Vini di Cavalieri, gegründet 1970. Vier lokale Weinsorten, ein süßer Schaumwein, ein aus Aglianico gewonnener Kirschlikör und ein Destillat aus Aglianico-Trester finden sich im Portfolio. Die Weinberge sind an zwei verschiedenen Standorten beheimatet: neben dem Weingut und in Meeresnähe, was sich in den Weinen widerspiegelt. Obwohl Wasser vorhanden wäre, ist eine Bewässerung nicht erlaubt. Zur Weinverkostung wurden wieder einmal herzhafte Antipasti serviert.

Irgendwann geht jede Reise zu Ende, bei uns am achten Tag. Auf dem Weg zum Flughafen nach Rom stoppten wir beim Bio-Weingut Fattoria Pagano: ein relativ junger Familienbetrieb mit 10 ha Weinbau und etwas Oliven- und Kirschanbau. Es gibt Weingärten in Irpinia und Casertano. Im Fokus in Casertano steht der rote Falerno del Massico. Er soll der Nachfahre des berühmten römischen Weines Falernum sein, der unter den Kaisern und Patriziern Roms als einer der besten Rotweine galt. Die Wiederentdeckung des Anbaugebiets des Monte Massico begann im 19. Jh., aber erst in den vergangenen 40 Jahren haben einige lokale Produzenten die Tradition wiederbelebt. Die Weingärten erstrecken sich über zwei Terrassen mit einem einzigartigen Panorama mit Blick auf das Meer und die Insel Ischia. Gepflegt werden auf dem vulkanischen Terrain (hier Basalt und Tuff) traditionelle Sorten wie Aglianico, Piedirosso und Falanghina. 

Zusammengefasst

Die Geschichte des Weinbaus in Kampanien reicht bis ins 12. Jahrhundert vor Christus zurück. Bereits Etrusker und Griechen kultivierten erste Reben, später schätzten die Römer Wein der Inseln Capri und Ischia, von den Hängen des Vesuv oder aus Sorrent. Sie nannten das Gebiet ­„Campania Felix“ (glückliches Land), weil hier der Wein aufgrund des Schwemmland- und Vulkanbodens sowie der reichlichen Sonne bestens gedieh. 

Noch im 16. Jahrhundert galten die Weine aus dem König­reich Neapel als beste Italiens. Mit dem Sturz des „Königreiches beider Sizilien“ 1860 begann ein Niedergang. Aufgrund der Armut in der Region sowie von Verwüstungen durch Erdbeben in den 1960er Jahren wurde das Potenzial nicht voll genutzt. Die Region gewinnt aber durch neue Initiativen wieder an Bedeutung. Dabei setzt man bewusst auf alte autochthone Rebsorten. Was uns die örtlichen Winzer aber einhellig vermittelten: Es gibt kein einheitliches Kampanien. Zu unterschiedlich sind die Subregionen, die man auch stolz und bewusst in den Vordergrund stellt. 

Viele kennen Kampanien heute aufgrund der zahlreichen touristischen Highlights: Von den Touristenströmen blieben wir verschont, „dank“ Pandemie und Nebensaison. Das Gebiet ist durch das mediterrane Klima, Wasserreichtum und vulkanische Böden sehr fruchtbar. Die nahen, hohen Berge bringen den Weinen viel Frische. Rotweine stellen etwa 70 Prozent der gesamten Weinmenge, hier steht die Sorte Aglianico im Blickpunkt. Sie liefert dunkle, körperreiche Weine. An weißen (autochthonen) Sorten bleiben Fiano, Greco und Falanghina positiv in Erinnerung. In die Untiefen der DO-Regelungen sind wir nicht eingetaucht. Wikipedia berichtet von vier DOCG- und 15 DOC-Weinen.

Wein wird hier nicht nur produziert, sondern gelebt und mit Charme präsentiert. Zum Wein gab es immer kulinarische Verführungen in Form von abwechslungsreichen Antipasti. Abseits der Weingüter, in Hotels und Restaurants, ist der Wein erschwinglich, die Aufschläge sind bescheiden. In Erinnerung bleibt eine stimmige Reise mit vielen Highlights wie Natur- und Kunstschätzen, bestens organisiert von der Reisewelt. Selbst die Hotels sind eine Erwähnung wert.