MEDIZIN-SYMPOSIUM MIT WHO-KRITIK

Eine Empfehlung für den moderaten Weinkonsum

Ein Artikel von DI Walter Kaltzin | 10.12.2024 - 12:38

Das Symposium im Josephinum, dem Medizinhistorischen Museum Wien, fand unter Medizinern und Vertretern der Weinbaubranche großes Interesse. Über 100 Besucher folgten den überwiegend wissenschaftlichen Ausführungen. Eingeladen hatte Herbert Braunöck, Gründer der Initiative „W&G – Wein und Gesund“, moderiert wurde die fachliche Abendveranstaltung von den beiden pensionierten Medizin-Granden Otto Lesch, Suchtmediziner, und Wolfgang Graninger, leitender Internist
im AKH.

Von den hellen und dunklen Seiten des Alkohols

Aus Kreta stammte der erste Redner: Jannis Mouzas, emeritierter Professor für Gastroenterologie, trat bereits in über 150 Veröffentlichungen als Autor und Co-Autor in Erscheinung. Er verwies eingangs auf die alte Plato-Weisheit, nachdem der Umgang mit Alkohol vom Alter abhängig sei: Bis zum 18. Lebensjahr sei kein Genuss zuträglich, zwischen dem 19. und dem 42. Lebensjahr ein kontrollierter mäßiger Genuss und ab dem 43. könne zeitweilig auch übermäßig genossen werden, „um die Mühen des Alters besser zu ertragen“.

Mit Blick auf verschiedene Studienergebnisse strich Mouzas folgende Erkenntnis hervor:

  • Die Kombination von Tabak und Alkohol zeigt immer negative Auswirkungen.
  • Bei Betrachtung von Studienergebnissen gilt es, viele Details zu beachten: Konsumenten, die vor allem nur an Wochenenden trinken („Binge-Drinking“ à la Irland), haben im Vergleich zur üblichen mediterranen Ernährung (Glas Wein zum Essen) negative Auswirkungen zu verzeichnen, auch wenn über einen großen Zeitraum gesehen die gleiche Menge an Alkohol getrunken wurde.
  • Die genetische Variabilität des Menschen spielt eine große Rolle – so sei es notwendig, sich die Ergebnisse auf Länderebene anzuschauen (bedeutende Unterschiede zwischen Ländern mit hohem und niederem Einkommen wie etwa in Afrika).
  • Für Erwachsene über 40 Jahre scheint ein geringer Alkoholkonsum (bis zu zwei Getränke täglich) gesundheitliche Vorteile zu bieten, wie ein niedrigeres Risiko für Herz-Kreislauf-Erkrankungen und Schlaganfälle. Darüber hinaus scheinen die gesundheitlichen Vorteile bei Erwachsenen über 65 Jahre bei bis zu drei Getränken täglich zuzunehmen.

Wein eingebunden in eine mediterrane Lebensweise ohne Krebsrisiko

In jüngerer Zeit wird von verschiedenen Institutionen, u.a. von der WHO, die Botschaft verbreitet, dass es keine sichere Alkoholmenge für einen risikofreien, unbedenklichen Alkoholkonsum gäbe. „Ist damit jedes Weinglas eines zu viel?“ Mit dieser Frage eröffnete der deutsche Ernährungsexperte Prof. Dr. Nicolai Worm seinen Vortrag. Das Problem an solchen Aussagen: Sie beruhen auf pauschalen Annahmen sowie groben Verbrauchsstatistiken und berücksichtigen viele Faktoren nicht, die auf den Körper wirken. Dazu zählte Worm etwa den Lebensstil, die Art des Alkohols und das Trinkverhalten auf. Worm führte Kritik am methodischen Vorgehen diverser Studien bzw. Auswertungen aus und verwies dabei auf die wirtschaftliche Abhängigkeit der WHO. So werde sie in Sachen Alkoholpolitik von den sogenannten Guttemplern finanziert, einer internationalen Organisation, die sich für Enthaltsamkeit von Alkohol und bewusstseinsverändernden Drogen einsetzt. Die Gruppierung gilt als Teil der Abstinenzbewegung. Nach einer Namensänderung agieren die Guttempler heute unter dem Namen „Movendi International“.

Betrachtet man die große Menge an Langzeitbeobachtungsstudien und Meta-Analysen, die erhebliche Unterschiede in den Erkrankungsrisiken bei Differenzierung nach Getränkeart finden, lässt sich nach Worm erkennen: Typischerweise weisen Wein-Trinker bei moderatem Genuss nicht nur signifikante Risikominderungen u.a. für Herz-Kreislauf-Erkrankungen und Typ-2-Diabetes aus, sondern es finde sich auch bei dieser Dosis kein erhöhtes Krebsrisiko. Sogar ein signifikant gemindertes Krebsrisiko sei aufgezeigt worden, wenn der Weinkonsum in eine mediterrane Ernährungsweise und in ein ebensolches Trinkmuster (Wein moderat und immer nur zum Essen) eingebunden sei, so der Ernährungsexperte Worm.

Alkohol ist nicht gleich Alkohol

Warum kursieren so unterschiedliche Ergebnisse in den Medien? Der Herz-Spezialist Dirk von Lewinski, Kardiologe an der Medizinischen Universität Graz, ging kritisch auf viel zitierte Veröffentlichungen ein. Er erklärte detailliert, wie durch eine subjektive Auswahl an Studien Ergebnisse verzerrt wurden. Zum Teil widersprechen sich sogar öffentliche Aussagen zu den Schlussfolgerungen mit den präsentierten Daten der Studie, wie im Fall der Studie „Global Burden of Disease“, auf die öffentlich häufig verwiesen wird, um einen vollständigen Alkoholverzicht zu fordern. Die beste verfügbare Evidenz aus Kohortenstudien und Stoffwechselexperimenten würde hingegen häufig ignoriert. Die wohl größte Initiative zur Bewertung der globalen Gesundheit, nämlich besagte „Global Burden of Disease“ komme in einer Neuauflage zur Erkenntnis, dass moderater Alkoholkonsum zumindest für Personen über 45 Jahren ein längeres Leben bringt.

Eine ganz aktuelle (2024) und methodisch ausgezeichnete Arbeit aus England (Lan Shao u.a., veröffentlicht im Fachmagazin „Medicine“), mit über 500.000 Teilnehmern, zeige eindrucksvoll die positiven Effekte von moderatem Alkoholkonsum. Dazu zitierte Dirk von Lewinski aus der Schlussfolgerung der Studie, die über zwölf Jahre ging:

„Rotwein, Weißwein und Bier unterhalb der jeweiligen Schwelle waren mit einem niedrigeren Risiko für Tod, chronische Nierenerkrankung und koronare Herzerkrankungen assoziiert. Die sichere Dosis für Alkohol sollte kleiner 11 bzw. 10g/Tag sein bzw. 7(♂) bzw. 6(♀) Gläser Rotwein oder 5 Gläser Weißwein pro Woche sein. Diese Dosierungen zeigten protektive Effekte hinsichtlich Diabetes, Demenz, Epilepsie, Leberzirrhose und gastrointestinale Erkrankungen, während keine erhöhte Krebs-Inzidenz auftrat!“

Alkoholfrei mit hohem Wirkstoffgehalt

Eine Verkostung von verschiedenen Rotweinen, allesamt auf gesundheitsfördernde Wirkstoffe wie Polyphenole und Flavanoide getestet, rundete den Abend ab. Darunter auch ein entalkoholisierter Rotwein, dessen Wirkstoffgehalt im Zuge der Entalkoholisierung deutlich erhöht wird, wie Herbert Braunöck von der Initiative „Wein & Gesund“ betonte.

In einer abschließenden Wortmeldung dankte Weinbauverbands-Direktor Josef Glatt den Organisatoren und Vortragenden, denn ein Weinbauverband würde mit dem Makel eines Lobbyisten nie die gleiche Aufmerksamkeit und Glaubwürdigkeit in den Medien erlangen.

Fazit

Für Länder wie Österreich kann auf Basis wissenschaftlicher Erkenntnisse ruhigen Gewissens behauptet werden: Gemäßigter Weinkonsum, besonders Rotwein, ist mit einer geringeren Sterblichkeit verbunden. Voraussetzung ist allerdings ein gesunder Lebensstil mit einem Verzicht auf Tabak. Ob es einen kausalen Zusammenhang gibt, sprich, das längere Leben sich durch den Wein direkt ergibt, kann nicht gesagt werden. Es könnte auch das gesündere, bessere Leben der Weinkonsumenten sein, das den statistischen Effekt in Ländern wie Österreich bringt. „Man kann nicht sagen, Wein schützt vor Krebs, es könnte sein, dass Weintrinker sich selber vor Krebs schützen“, brachte Dirk von Lewinski den Zusammenhang auf den Punkt.

Wer also gesundheitsbewusst lebt, muss auf das Glas Wein zum Essen nicht verzichten. Der moderate Weinkonsum führt beim gesunden Erwachsenen zu eindeutig positiven Effekten, bei übermäßigem Konsum kippt der Effekt ins Gegenteil. Den Studien zufolge sind ein bis zwei Achterl (Rot-)Wein am Tag für die Frau, und für den Mann etwas mehr, noch unbedenklich. Regelmäßig zumindest ein alkoholfreier Tag pro Woche sollte eine Selbstverständlichkeit sein.

Link zur Originalstudie: https://journals.lww.com/md-journal/fulltext/2024/07050/association_between_alcohol_consumption_and.13.aspx?context=latestarticles