Nach insgesamt etwa 13 Stunden eines teilweise recht turbulenten Fluges landete unsere Truppe im hochsommerlichen Santiago de Chile. Dort nahm uns der bestens gelaunte Reiseleiter Hannes Schönauer, ein Sommelier, Weinbau-Experte und nach Chile ausgewanderter Salzburger, in Empfang. Wir freuten uns darauf, zwölf Weinkellereien und die Top-Weinbauregionen des Landes kennenzulernen.
Aconcagua-Tal – heiße Tage, kühl-feuchte Nächte
Unsere „Winzer-Rallye“ begann im Aconcagua-Tal nördlich von Santiago. Auf den sandig-steinigen Böden mit Flussablagerungen wachsen u.a. Sorten wie Cabernet Sauvignon, Merlot, Cabernet Franc und Syrah. Das von einem Schweizer 1989 gegründete Weingut Viña von Siebenthal umfasst vier Weinberge mit 32 Hektar ausschließlich Rotweinsorten, u.a. auch mit der als typisch chilenisch geltenden Sorte Carménère. Rund 40% der 180.000 Flaschen gehen in den Export, erstaunliche 60% bleiben im Exportland Chile. Das Preisband der Weine reicht von 6 bis knapp 150 € (für den Topwein „Tatay de Cristóbal“).
Die Viña Errázuriz überraschte uns mit ihrer Weitläufigkeit und mediterranem Flair sowie modernsten Anlagen. Die 1870 gegründete Weinkellerei, die 2019 unter die 20 besten Weingüter der Welt gereiht wurde, ist eines der ältesten und renommiertesten Weingüter Chiles mit fünf Standorten und insgesamt 1.000 Hektar. Von der Qualität der Weine durften wir uns bei der perfekt vorbereiteten Verkostung sowie beim Mittagessen überzeugen.
Cachapoal- und Colchagua-Tal – Schiefer, Granit und Sand
Das im Cachapoal-Tal gelegene Weingut Viña Maturana ist ein reiner Zukaufsbetrieb. Josè und Gloria Maturana haben sich auf alte Sorten wie Carménère, Torontel, -Grenache, País oder Sémillon konzentriert, die ohne Düngung und ohne Bewässerung auskommen. Die Trauben stammen von 15 Vertragsweinbauern. Hier begegneten uns zum ersten Mal auf der Reise Betoneier für den Weinausbau. Die Produktion von 60.000 Flaschen geht zur Gänze in den Export (China, Kanada, die USA, Thailand, Frankreich u.a.). Die Verkostung einiger Weine bei einem kleinen Imbiss löste große Begeisterung aus.
Das im Colchagua-Tal gelegene Weingut Viña Koyle setzt wie das Winzerpaar Maturana auf eine biodynamische Wirtschaftsweise. Seit 2013 ist es biozertifiziert. 2010 wurden 65 Hektar mit zwölf verschiedenen Rebsorten bepflanzt, heute ist die Fläche auf 1.000 Hektar gewachsen. Seit 2014 arbeitet der Betrieb eng mit zwei Geologen und Agrarspezialisten zusammen, um konzentrierte und balancierte Weine mit Terroir-Charakter zu produzieren. Etwa 70% der Weine gehen in den Export (die USA, Frankreich etc.), 30% werden in Chile getrunken. Auch bei Koyle werden jeweils die Weine der einzelnen Parzellen erst im Betonei und dann im Holzfass gereift, bevor sie verschnitten und abgefüllt werden.
Sehr beeindruckt waren wir auch vom im Colchagua-Tal gelegenen biozertifizierten Weingut Viña Clos Apalta (Casa Lapostolle, gegründet 1994, 450 Hektar inklusive zweitem Standort im Casablanca-Tal). Von der in den Granitfelsen gebauten sechsstöckigen Kellerei, deren Dachterrasse einen herrlichen Ausblick über das Tal bietet, ragt nur das zylinderförmige Dach aus dem Berg heraus. Etwas krass: In dieser millionenteuren „französischen Kellerei in Chile“ werden nur zwei Weine – mit hohem Lagerpotenzial – produziert: La Petit Clos und Clos Apalta. La Petit Clos ist eine Cuvée aus Cabernet Sauvignon, Carménère und Petit Verdot, Clos Apalta eine Carménère-Cuvée mit je nach Jahrgang unterschiedlichem Verschnitt.
Ein führendes Weingut im boomenden chilenischen Wein-Tourismus ist die ebenfalls im Colchagua-Tal gelegene Viña Viu Manent (inklusive Pachtfläche 350 Hektar) mit einem Gut im Kolonialstil und Sonntagsausflugsziel-Charakter. Mit der Reifung in als „erdbebensicher“ geltenden Betoneiern für die „obere Weinliga“ folgt die Kellerei dem Trend zu fruchtigeren, frischeren, leichteren, nur wenig nach Holz schmeckenden Produkten. Acht Proben zeigten uns eindrucksvoll den Einfluss von Küstennähe, Terroir, Verschnittanteilen, Reifezeiten und Holz-tönen. Eigene „Terroir-Weine“ heben bereits am Etikett
die Bedeutung des jeweiligen Bodens hervor.
Maule-Tal – regenreiche Winter, schwere Böden
Ein Beispiel für die junge, kreative Winzergeneration im Maule-Tal ist die Viña Julio Bouchon (250 Hektar). Eine Besonderheit hier ist der País. Die extrem tief wurzelnde Sorte wird zu Weiß- sowie Rotwein verarbeitet und als Gegenstück zu den (relativ) neuen, wuchtigeren Sorten zunehmend forciert. Ziel der aus Frankreich stammenden Besitzerfamilie Bouchon sind Weine, die mit der Tradition aus Frankeich die Identität von Chile widerspiegeln. Wir konnten u.a. einen säurebetonten País Rosé (2018) und den für den Betrieb wichtigsten Wein „Mingre“ (2016), eine elegante Cuvée aus Carménère, Cabernet Sauvignon, Syrah und Petit Verdot, verkosten.
Itata-Tal – frisch und windig im Sommer
Diese eher kühle Weinregion am südlichen Ende von Chiles Weinbauzone wird von Anpflanzungen von Carignan, Muscat of Alexandria und País dominiert. Seit vielen Jahren werden aber auch modernere Rebsorten wie Cabernet Sauvignon, Cabernet Franc, Pinot Noir und Chardonnay angebaut. Direkt neben dem Fluss Largui, an der südlichen Grenze des Itata-Tals, liegt das wunderschön gelegene Weingut Viña Pandolfi mit 53 Hektar Wein und 30 Hektar Haselnüssen. Bei einem herrlichen, stimmungsvollen Asado-Abendessen, der chilenischen Form des Grillens, durften wir mehrere Weine von Enzo Pandolfi – u.a. eine kleine Chardonnay-Vertikale von den Jahrgängen 2011, 2016 und 2017 – genießen.
Maipo-Tal – trockene Sommer, karge Böden
Südlich und südwestlich von Santiago liegt das Maipo Valley, das als das beste und größte Weinbaugebiet Chiles gilt. Auf rund 23.000 Hektar werden hier zu 75% rote Sorten wie Cabernet Sauvignon, Merlot und Carménère angebaut. 240 Hektar – mit mehr als 100 Parzellen, die einzeln geerntet und vinifiziert werden – bewirtschaftet die Viña Perez Cruz. Mithilfe von Analysenwerten – aus-gewertet im betriebseigenen Labor – und Fotodaten von Drohnen berechnet ein mathematisches Programm, wann welche Parzellen zu ernten sind. Von den rund 1,2 Mio. Litern Produktion werden rund 30% in Chile, 20% in Brasilien, je 15% in UK und Kanada vermarktet, der Rest in Peru, Kolumbien und Schanghai.
Miguel Besoain betreibt im Maipo-Tal ein 80 Hektar großes Bio-Weingut, die Viña Lafken. 94% der Fläche sind mit Cabernet Sauvignon bepflanzt, 6% mit Carménère und Petit Verdot, die zum Verschnitt dienen. Das Ziel sind elegante Weine mit 14 bis 14,5%Vol., reifen Tanninen und schöner Farbe. Die Verkostung von Miguels Weinen löste einen Sturm auf seinen Weinshop aus.
Im Maipo-Tal liegt auch die 300 Hektar große Viña de Martino. Die Bodega de Martino ist der zweitgrößte Produzent von Biotrauben in Chile. Eine Besonderheit des Betriebes: In 150 bis 200 Jahre alten Tinajas (Terrakotta-Eiern mit 1.000 bis 1.200 Liter Fassungsvermögen) werden zwei Natural Wines vinifiziert: Die Trauben vergären spontan und werden danach ohne irgendwelche Zusätze und ohne weitere Temperaturkontrolle mit einem Stahldeckel abgedeckt und mit Lehm abgedichtet. Nach fünf bis sechs Monaten werden leichte, frische Rotweine gewonnen, die dem Weingut „weltweit viele Türen öffnen“.
Casablanca-Tal – kühle Winde, Morgennebel
Das fruchtbare Casablanca-Tal westlich von Santiago bietet ideale Bedingungen für weiße Sorten wie Sauvignon Blanc und Chardonnay sowie „kühle Rotweine“ von Pinot Noir, Merlot und Syrah. Das Weingut Viña Villard, rund 25 Kilometer vom Pazifik entfernt gelegen, profitiert vom Morgennebel und von niedrigen Temperaturen, die Weine mit dezenter Säure und frischer Frucht ermöglichen. Am Weingut wird viel experimentiert, so u.a. mit verschieden langen Toastungen der am Betrieb selbst gefertigten Fässer oder „manueller Direktpressung“ in 300-Liter-Holzfässern, die acht Mal pro Tag gedreht werden.
Fazit
Chile hat in Mitteleuropa den Ruf, gut trinkbare, günstige Weine zu produzieren. Die chilenischen Weinmacher können aber auch sehr elegante, strukturreiche und komplexe Weine im Preisbereich von 10 bis 45 € sowie Topweine ab 100 € aufwärts kreieren. So individuell die einzelnen Weinbaubetriebe auch sind, sie alle eint das Problem der Wasserknappheit, sei es durch Konkurrenz von stark Wasser verbrauchenden Avocadopflanzungen – die wie der Weinbau stark von Bewässerung abhängig sind – oder durch viel zu wenig Niederschlag.
Jeder Betrieb hat seine eigene Marketingstrategie, viele werden von jungen Winzern oder Kellermeistern mit innovativen Ideen geleitet, die teilweise Ausbildungen in den USA, in Frankreich, Spanien oder auch in Deutschland gemacht haben. Der lokale Markt ist überschaubar, sodass rund 80% in den Export gehen müssen – je nach Größe und Strategie in Tanks und Flaschen oder nur in Flaschen. Es gibt wenig gesetzliche Bestimmungen, es heißt, dass „jeder auf das Etikett schreiben kann, was er will“.
Die von Hannes Schönauer sehr gut ausgewählten Weingüter, von relativ kleinen Familienbetrieben bis hin zu international ausgerichteten Big-Playern sowie die spannenden, interessant kommentierten Verkostungen werden sehr lang in guter Erinnerung bleiben.
Abseits vom Wein erlebten wir die Hauptstadt Santiago de Chile, die Universitätsstadt Concepción mit einem bunten Obst- und Gemüsemarkt, eine Teilstrecke der berühmten Panamerica, die Hafenstadt Valparaiso, einen pechschwarzen Pazifikstrand, eine Seebären-Kolonie und natürlich köstliches Essen wie das Asado, perfekt zubereitete Steaks, Frischfisch aus dem Pazifik, bunte Salate, Empanadas und vieles mehr. #
Die Autorin: DI Gabriele Luttenberger, ehem. Chefredakteurin „Besseres Obst“
Eine Langversion dieses Reiseberichts finden Sie hier zum Downloaden.
Ideales Weinbauklima: heiße Tage, kühle Nächte
Die besten Klimabedingungen für den Weinbau bietet das fruchtbare Zentralchile zwischen dem 30. und 38. südlichen Breitengrad mit einem großteils eher milden, mediterranen Klima.
Zentralchile ist in vier Weinbauregionen und 13 Einzeltäler mit unterschiedlichen Böden und Klein-Klimaten gegliedert. Das Klima wird generell vor allem durch den westlich liegenden Pazifik bzw. den kalten Humboldt-Strom und die im Osten liegenden hohen Anden bestimmt.
Rund 136.000 Hektar (70% Rot, 30% Weiß) werden von etwa 350 Weinbaubetrieben bewirtschaftet. Die Hauptsorten sind Cabernet Sauvignon (35%), Sauvignon Blanc, Merlot, Chardonnay, Carménère, Syrah, Pedro Jiménez, Pais, Pinot Noir, Cot-Malbec und Sémillon. Das größte Problem stellt für die meisten Betriebe fehlendes Wasser dar. Das Jahr 2019/20 gilt als das trockenste Jahr seit Aufzeichnungsbeginn.