Ein interessantes Ergebnis brachte eine große populationsbasierte Kohortenstudie, die die Daten von fast 20.000 Menschen aus den USA auswertete. Es handelte sich um eine Sekundäranalyse der „Health and Retirement Studie“ (HRS), deren Teilnehmer seit 1992 alle zwei Jahre allgemeinmedizinisch untersucht werden. Zudem wurden bei kognitiven Funktionstests drei Domänen evaluiert: Die Worterinnerung, der Wortschatz und der sogenannte mentale Status. Dieser umfasst verschiedene kognitive Fähigkeiten wie zum Beispiel Gedächtnisleistung, Konzentrationsfähigkeit, Orientierung, Urteilsvermögen, mathematische Fähigkeiten.
Ziel der aktuellen Auswertung war, zu erheben, welchen Einfluss ein geringer bis moderater Alkoholkonsum auf die kognitive Funktion hat. Geringer bis moderater Alkoholkonsum wurde definiert als weniger als acht Drinks pro Woche bei Frauen und weniger als 15 Drinks pro Woche bei Männern – im Kontext wissenschaftlicher Studien ist mit einem Drink ein kleines Glas Wein (150 ml) oder Bier (350 ml) gemeint. Studienteilnehmer mit diesem Trinkverhalten wurden hinsichtlich der Entwicklung ihrer kognitiven Funktion mit Nicht-Trinkern und starken Trinkern verglichen. Die ausgewertete Kohorte bestand insgesamt aus 19.887 Studienteilnehmern, die im Durchschnitt 61,8 Jahre alt waren. Über 60% waren Frauen und über 85% waren weiß.
Kognitiver Abbau bei moderatem Alkoholgenuss geringer
Im Ergebnis zeigte sich, dass geringer bis moderater Alkoholkonsum mit einer höheren kognitiven Funktionskurve und einem geringeren kognitiven Abbaurate einherging. Die Wahrscheinlichkeit für einen kognitiven Abbau war bei ihnen im Vergleich zu Abstinenzlern um 34% geringer (OR: 0,66), auch die Unterschiede zwischen den Gruppen im Hinblick auf mentalen Status, Worterinnerung und Wortschatz waren signifikant – die moderaten Trinker waren den Nicht-Trinkern bei den Testergebnissen überlegen. Der jährliche kognitive Funktionsverlust war in der Gruppe mit maßvollem Alkoholkonsum signifikant niedriger. Bei schweren Trinkern nahm die kognitive Funktion hingegen rasant ab.
Professor Dr. Peter Berlit, Generalsekretär der Deutschen Gesellschaft für Neurologie (DGN), möchte diese Studie keinesfalls als Freibrief für ungezügelten Alkoholkonsum verstanden wissen, erklärt aber: „Dieser positive Effekt des moderaten Alkoholkonsums ist wahrscheinlich gefäßvermittelt.“ Assoziationsstudien haben beispielsweise gezeigt, dass ein Glas Rotwein pro Tag gefäßprotektiv wirken könnte. Dennoch müsse betont werden, so Berlit, dass ein kausaler Zusammenhang zwischen moderatem Alkoholkonsum und positiven Effekten auf die Gefäß- und Gehirngesundheit bislang nicht nachgewiesen wurde. „Wenn aber die Hypothese, dass ein maßvoller Alkoholkonsum eine gefäßschützende Wirkung hat, stimmt, wäre leicht zu erklären, warum er sich auch günstig auf die kognitive Funktion auswirken könnte. Ein großer Teil aller Demenzen wird durch Gefäßschäden mitverursacht. Alles, was die Gefäßgesundheit erhält – Reduktion von Übergewicht, Bewegung, gesunde Kost und Senkung eines zu hohen Blutdrucks, schützt vor einer Demenz.“
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Quelle: Zhang R, Shen L, Miles T et al. Association of Low to Moderate Alcohol Drinking With Cognitive Functions From Middle to Older Age Among US Adults. JAMA Netw Open. 2020 Jun; 3(6): e207922: https://www.ncbi.nlm.nih.gov/pmc/articles/PMC7324954/